Das schwebende Zikkurat von Delos ist von nahem betrachtet gar nicht so beeindruckend. Nicht die ganze Stufenpyramide scheint zu schweben, sondern lediglich die Dächer. Beim genauen Hinsehen, kann man die gläsernen Säulen erkennen, die diese Illusion erzeugen.

"Poldark erzählt in groben Versen über sein Leben in der jungen Kolonie und den Aufbau des Gemeinwesens. Mitten drin findet sich dann doch eine kleine Kundgebung zum Thema Kalakasch. Das Gedicht Stadt der Blauen Türme ist heute ein Klassiker."

"Das kenne ich auch!" warf Malia ein. "Aber als Kinderlied."

"Genau. Etwa 300 Jahre nach Poldarks Tod bekam ein damals populärer Sänger eines dieser Bändchen zufällig in die Hände und vertonte das Gedicht. Es war der erste Sack-weite Gassenhauer und begründete eine ganze interplanetarische Musikindustrie. Darüber hinaus versorgte das kleine Liedchen die Kalakasch-Forscher mit einem einmaligen historischen Dokument, einer knappen Beschreibung der verschwundenen Welt. Wie präzise diese Darstellung ist, kann man aber nur erahnen. Immerhin sagte der Originalautor selbst, dass alles nur auf Hörensagen beruhe. So gesehen fügte er dem Rätsel nur ein weiteres Rätsel hinzu."

"Faszinierend", meinte Malia. "Für mich war es immer nur ein Lied aus der Kindheit. Keines, was ich heute noch singen würde, weil die Melodie recht anspruchslos ist. Dass da soviel Geschichte dahinter steckt, wusste ich gar nicht."

"Darf ich es Ihnen vorlesen?" Oraka blätterte vorsichtig in dem kleinen Band. Malia nickte.

"Runde Kuppeln aus Metall
Schützen alles vor dem All
Im blauen Schein des hellen Lichts
Drängt pralles Leben aus dem Nichts
Auf dem dunklen Mondesstaub
Bleiben Laut um Laut so taub
Erst in der Kuppeln Hülle
Verliert sich sanft die Stille ..."

"Landen wir auf dem Planeten?"

"Nein, Delos hat nur zwei kleine Raumhäfen, aber fünf Himmelshaken. Wir kommen bald in die Nähe des Hakens von Amarna", erklärte der Kaptan. "Dort werden wir das Schiff parken und mit den Feijis übersetzen. Die Fahrt mit den Turboaufzügen zur Oberfläche des Planeten wird etwa eine halbe Stunde dauern. Weil der Professor sowieso nach Amarna will, geht es so am schnellsten. Während Ihres Landgangs werden Handwerker an Bord kommen, um noch einige Dinge zu installieren oder fertig zustellen."

"Sollten wir da nicht unsere Sachen wegsperren, damit, sagen wir mal, nichts verloren geht?"

"Sie lassen sich von Vorurteilen leiten. Den Handwerkern von Delos eilt der Ruf voraus anständig und ehrlich zu sein. Aber zu ihrer Beruhigung, die Handwerker haben nur Zutritt zum dritten Deck, wo die Arbeiten ausgeführt werden sollen."

"Verstehe. Aber wozu diese Einschränkung, wenn diese Leute doch so anständig und ehrlich sind? Vorurteile?"

"Nein, Staatsicherheit. Sie dürfen auch nicht überall hin im Schiff."

Oraka verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zu einem langen Spaziergang. Er hätte einige Verkehrmittel zur Auswahl gehabt, um die Strecke zu bewältigen. Aber selbst mit den Hochgeschwindigkeitszügen, die die Stadtteile miteinander verbanden, wäre er durch das notwendige Umsteigen nicht wesentlich schneller gewesen.

So spazierte er durch einen der Grüngürtel. Die Stadt war von Anfang so geplant worden, dass es beinahe so viele Grünflächen wie bebaute Areale gab. Alleen und Parks waren an vielen Stellen angelegt worden. Die Unterzentren waren durch breite Grünflächen von einander getrennt. Der Professor liebte es durch das Grün zu flanieren und den Bewohnern bei der Freizeitgestaltung zuzusehen. In Alfano gab es viel Freizeit.

In den Wipfeln der zahlreichen Bäume sah er hin und wieder Alvinos hüpfen. Die possierlichen Flughunde, allesamt entkommene Haustiere, fühlten sich in den Parks sichtlich wohl. Am Wegesrand hatten Kinder ihre Spielsachen liegen lassen und versteckten sich zwischen den Bäumen. Ein Mann mit langen Haaren fuhr einen Kinderwagen durch den Sonnenschein. Nach einer halben Stunde hatte er das lokale 29 erreicht. Die offizielle Bezeichnung lautet Krankenhaus des 17. Bezirks zur Behandlung seelisch-geistiger Beeinträchtigungen aber jeder sagte 29, weil die erste Anstalt dieser Art in Alfano die Hausnummer 29 gehabt hatte. Das klang auch sehr viel angenehmer als Nervenheilanstalt.

Oraka ging durch den Park zum Hauptgebäude. Am Empfang stellt er sich vor und wurde sofort von einem jungen Mann zum Leiter des Krankenhauses geführt. Der Weg war kurz. Auf dem Türschild stand Vorzimmer Professor Dr. A. Selkirk. Ein weiterer junger Mann übernahm Oraka und brachte ihn in ein weitläufiges Büro. Dort befanden sich bereits zwei ältere Herrschaften, die an einem Besprechungstisch Platz genommen hatten.

Der Mann sprang auf, reichte Oraka altmodisch die Hand und stellte sich vor: "Selkirk, angenehm. Darf ich Ihnen Margaret Ha-Uwang vorstellen. Sie hat während der bisherigen Behandlung der Patientin bereits mit uns zusammengearbeitet."

"Odera Oraka", erwiderte der Professor. "Ich bin sehr erfreut, Sie kennenzulernen."

"Bitte nehmen Sie Platz. Haben Sie leicht hergefunden?"

Oraka berichtet, von seinem Spaziergang und was er dabei beobachtet hatte. Es war immer gut, ein vielleicht schwieriges Gespräch mit ein paar Belanglosigkeiten zu beginnen, um das Eis zu brechen.

Ein Bus holte die Kamelreiter ab und brachte sie zur Karawanserei. Dort wurden sie mit passender Kleidung ausgestattet und bekamen eine Kurzanleitung im Kamelreiten.

Malia hatte eine Frage. "Es ist denn eine gute Idee, genau in der Mittagshitze in die Wüste zu reiten?"

Der Karawanenführer lachte. "Keine Bange, wir werden während der Hitze überwiegend im Schatten reiten."

"Wie praktisch, eine überdachte Wüste!" witzelte Oraka. Der Anführer grinste nur. "Dafür hat jedes Kamel Licht, damit es im Schatten nicht zu dunkel wird."

Die Teilnehmer glaubten zuerst an einen Scherz. Tatsächlich führte der Weg die Karawane zuerst in einen kühlen Wald, dann bergauf in das Gebirge. Gegen Mittag hatten sie eine schmale Schlucht erreicht. Die Kamele verschwanden zwischen steilen Felswänden. Malia musste zugestehen, dass es sehr schattig war, allerdings auch sehr dunkel. Die Lampen wurden eingeschaltet.

"An der tiefsten Stelle ragen die Felswände der Schlucht einen halben Kilometer in die Höhe", erläuterte der Karawanenführer. "Sie können oft nicht einmal den Himmel sehen. Deshalb hat jedes Kamel eine Lampe, die den Weg beleuchtet."

Etwa in der Mitte der Schlucht wich der Fels ein wenig zurück, um einem atemberaubenden Naturschauspiel Platz zu machen. Von einer Stelle, die man nicht sehen konnte, donnerte ein Wasserfall in die Tiefe, um am Boden der Schlucht einen See zu speisen.

"Ganz schön feucht diese Wüste", bemerkte Kresta und wischte sich den Sprühnebel aus dem Gesicht. Die Gruppe ging noch ein Stück weiter zu einem trockenen Rastplatz, wo ein kleiner Imbiss serviert wurde.

"Bis jetzt schon sehr beeindruckend", meinte Morice. "So was habe ich noch nie gesehen."

Der Reiseleiter erzählte, dass der Wasserfall aus dem Gebirge gespeist wurde, der See im Gestein wieder versickerte und erst in der Ebene wieder zum Vorschein kam. Am Ende der Schlucht war endlich die Wüste zu sehen. Zwei weitere Karawanen kamen ihnen entgegen und verschwanden zwischen den Felswänden. Der Weg durch den Sand war vergleichsweise kurz. Am späten Nachmittag war die Oase erreicht.



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